mit Bezug auf das Rieplische Gesetz
Rieplsches Gesetz und eine Inspiration von meinen experimentellen
künstlerischen Arbeiten und dem stetigem Lernprozess
Das so genannte Rieplsche Gesetz der Medien besagt, dass kein
gesellschaftlich etabliertes Instrument des Informations- und
Gedankenaustauschs von anderen Instrumenten, die im Laufe der Zeit
hinzutreten, vollkommen ersetzt oder verdrängt wird.
Medien im Sinne technische Geräte werden durch neue Entwicklungen
ersetzt. Medienformate sind einem ständigen Wandel unterworfen. Neue
Medien übernehmen, verändern und erweitern die Funktionen alter Medien.
Die Medienentwicklung führt zu einer Ausdifferenzierung der
Medienlandschaft. Werden alte Medien durch neue Medien verdrängt? Denkt
man dabei an die technischen Artefakte, also die konkreten Gegenstände und
Apparate, trifft dies in vielen Fällen zu. Aus dieser Perspektive zählt die
Laterna Magica, ein vom 17. bis ins 20 Jahrhundert populäres
Massenmedium, zu den verdrängten/ausgestorbenen Medien. Die Funktion
der Laterna Magica, vor mehreren Personen oder einem größeren Publikum
Bilder vorzuführen, wurde von anderen technischen Geräten wie dem
Diaprojektor oder zurzeit der Kombination von PC und Beamer übernommen.
Zu den verdrängten/ausgestorbenen Medien kann man auch den Stummfilm
rechnen, der dem Tonfilm weichen musste, oder das Telegramm, das durch
die nahezu uneingeschränkte zeit- und ortsunabhängige Erreichbarkeit über
Mobil- funk überflüssig wurde. Wenn in einzelnen Fällen es zur Verdrängung
alter Medien durch neu aufkommende Medien kommt, trifft häufiger das
sogenannte Rieplsche Gesetz zu, nach dem alte Medien durch das
Aufkommen neuer Medien nicht verdrängt, sondern anders genutzt werden
und einen anderen Stellenwert in einer sich insgesamt verändernden
Medienlandschaft erhalten. In der Regel kommt es durch neue Medien zu
einer Ausdifferenzierung und Entmischung von Medienfunktionen. Solche
durch Computer und Digitalisierung ausgelösten und noch lange nicht
abgeschlossene Entwicklungen lassen sich zurzeit beobachten.
Die später als Riepl’sches Gesetz bezeichnete Passage lautet, nachdem der
Autor die extrem unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Medien sogar
innerhalb Europas beschrieben hat, wie folgt: «Andererseits ergibt sich
gewissermassen als ein Grundgesetz der Entwicklung des
Nachrichtenwesens, dass die einfachsten Mittel, Formen und Methoden,
wenn sie nur einmal eingebürgert und brauchbar befunden worden sind, auch
von den vollkommensten und höchst entwickelten niemals wieder gänzlich
und dauernd verdrängt und ausser Gebrauch gesetzt werden können,
sondern sich neben diesen erhalten, nur dass sie genötigt werden, andere
Aufgaben und Verwertungsgebiete aufzusuchen.»
Mit diesem einen Satz hat Riepl eine Hypothese hinterlassen, deren
heuristisches Potenzial erst Jahrzehnte später erkannt wurde. Sie ist auch
nach hundert Jahren noch nicht erledigt, sondern stimuliert stets von neuem
Forschung und Publizistik zu Fragen der Medienentwicklung.
Zum einen finden sich immer wieder Bestätigungen des Riepl’schen
Gesetzes: Das Telefon war nicht der Tod des Briefverkehrs, sondern hat die
Funktionen des Mündlichen und Schriftlichen stärker unterschieden.
Fernsehen hat Kino nicht abgelöst, sondern es dazu veranlasst, seine
Erlebnisqualität zu steigern. Zum anderen setzen etliche Veränderungen in
der Medienwelt das Riepl’sche Gesetz ins Unrecht. So gibt es (ausser in
folkloristischem Gebrauch) keine Boten und Ausrufer mehr, Telegraphen
haben ausgedient, die frühen OnlineMedien Videotex/Bildschirmtext/Minitel
sind verschwunden.
Stark ist auch der Antrieb, aus Riepl’s Hypothese plausible Szenarien für die
Weiterentwicklung der Medien gewinnen zu wollen. Der Denkansatz, wonach
bewährte Medien durch technisch-ökonomisch-gesellschaftliche
Entwicklungen nicht verdrängt, sondern lediglich in ihren Funktionen
verändert werden, hat sich immer wieder als fruchtbar und richtig erwiesen.
Der Medienwissenschaft gibt er Anlass, genau solche
Funktionsverschiebungen zu untersuchen und zusammenhängend
darzustellen. Manche Fachleute meinen so eine Basis für Prognosen zu
bekommen.
Quelle: Wolfgang Riepl: Das Nachrichtenwesen des Altertums. Mit
besonderer Rücksicht auf die Römer, Leipzig-Berlin 1913